von Meike Simpson
Meine Arbeit als Coach besteht in der sehr persönlichen Begleitung von Menschen in Transformationsprozessen – von Angesicht zu Angesicht. Wir sitzen üblicherweise im gleichen Raum, atmen die gleiche Luft, sind einander zugewandt. Kein Gedanke ans Abstandhalten, denn hier geht es um Beziehung, nicht um (körperliche) Distanz.
Was aber ist jetzt, in den Zeiten der Pandemie?
Normalerweise lachen wir gemeinsam, wir weinen gemeinsam, wir reden und wir schweigen. Gelegentlich kommt es vor, dass ich meinen Coachee tröste; mit Worten und auch mal mit Gesten, indem ich einfach bei ihr oder ihm bleibe und ihre oder seine Gedanken und Gefühle halte, manchmal auch die Hand.
Wir sollen nun ja aber den persönlichen Kontakt zu Menschen meiden, um uns und sie vor Ansteckung zu schützen. Und wenn wir uns schon treffen, dann bitte mit Abstand und am besten draußen (Aerosole und so, Sie wissen schon). Verstanden. Und so arbeite ich seit März mit meinen Coachees online per Video-Konferenz oder am Telefon – Corona macht’s nötig.
Sprichwörtlich ausgedrückt fragen wir Coaches ja, wo der Schuh drückt. Und dann zeigt uns der Coachee die Stellen, bewusst oder unbewusst. Damit kann ich als Coach gut arbeiten. Nun sehe ich ja aber am Telefon nichts von meinem Coachee und im Online-Coaching als Videokonferenz auch nicht alles. Das geht zwar trotzdem, ist aber nicht ideal. Und auch wenn ich froh bin, dass wir diese elektronischen Mittel haben – immerhin reden wir ja miteinander und das ist viel besser, als nicht zu reden – sind es eben nur Mittel. Sie ersetzen nicht den persönlichen Kontakt zwischen uns Menschen.
Als ich neulich einer Bekannten, ebenfalls Coach, erzählte, dass ich es vermisse, live mit meinen Coachees zu arbeiten, empfahl sie mir, doch mit ihnen in die Natur zu gehen. Ich war begeistert (und auch etwas beschämt, weil ich nicht selbst auf den Gedanken gekommen bin). Danke, liebe Steffi, für diese tolle Idee!
Also habe ich meinen Coachees vorgeschlagen, mit mir in den Wald zu gehen. Und was soll ich sagen? Sie waren sofort begeistert und sind hergekommen; natürlich jede*r mit eigenem Termin. Von einem Erlebnis möchte ich gerne berichten.
Kurz vorm Termin habe ich den Rucksack gepackt: Sitzkissen (eine Stunde konzentriert auf härterem Untergrund sitzen, kann ganz schön unbequem werden), Regenjacke für alle Fälle, ein bisschen Coachingmaterial und Kaffee für hinterher. Die Wanderschuhe angezogen und los. Nach einem etwa 10-minütigen Fußweg vorbei an Weizen-, Mais- und Roggenfeldern waren wir mitten im Naturwald. Meine Coachee, aus der Stadt angefahren, meinte, sie hätte das Gefühl, sie sei im Urlaub und wirkte auch sehr entspannt.
Wir liefen, mal still, mal leise plaudernd durch den Wald. Es dauerte eine ganze Weile, bis meine Coachee einen Platz fand, der ihr gefiel: Ein umgestürzter Baum, ein paar herumliegende Äste, Zapfen, Nadeln, Blätter auf dem Boden. Wir nahmen auf dem Baumstamm Platz (Sitzkissen = Gold!). Vogelgezwitscher, das Summen von Insekten, Krabbeltierchen überall, knarrende Bäume, hier und da ein Rascheln oder das leise Hämmern eines Spechts, erdiger Duft, leichter Wind – und wir beide mittendrin. Gemeinsam.
Nach kurzem Innehalten begann meine Coachee zu sprechen. Einfach so drauflos. Sie sprach von ihrer Hausaufgabe vom letzten Coaching, dem, was sich seitdem getan, bewegt und auch nicht bewegt hatte. Das war neu. Im nicht direkten Kontakt per Telefon oder Video brauchte sie immer eine Weile, um einzuchecken. Hier im Wald floss einfach alles so aus ihr heraus. Wir waren beide total entspannt und im Fluss. Wir machten eine Übung, die telefonisch oder per Video so nicht möglich gewesen wäre – herrlich für mich als Coach, den ganzen Fundus an Methoden und Übungen, mit denen ich meine Coachees begleiten kann, zur Verfügung zu haben. Einfach so. Aus dem Rucksack.
Nach einer sehr intensiven Arbeit miteinander schwiegen wir beide ein paar Augenblicke und genossen die Nähe und Verbundenheit und die hohe Intensität dieser Live-Begegnung. Wenn man so lange nur elektronisch mit Menschen kommuniziert, ist der echte persönliche Kontakt auf einmal etwas ganz Besonderes, Wertvolles, Tiefes und Schönes. Was mich bedrückt, ist, dass es offenbar einen so krassen Auslöser wie eine Pandemie brauchte, damit ich schätzen kann, was ich für selbstverständlich hielt. Wo tue ich das noch? Dem nachzuspüren habe ich mir selbst als Hausaufgabe gegeben.
Zum Kaffeetrinken kamen wir übrigens nicht mehr: Seit der Ankunft meiner Coachee und jetzt waren drei (!) Stunden vergangen. Also verabschiedeten wir uns und verabredeten ein nächstes Online-Coaching. Und auch hier spüre ich, dass uns die Zeit im Wald gutgetan hat – in unserer Arbeitsbeziehung und bei jedem für sich. Und wir haben uns schon vorgenommen: Das mit dem Wald, das machen wir noch einmal.
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