von Rainer Molzahn
Am besten geht es uns im allgemeinen, wenn unsere persönlichen Bedürfnisse und die Interessen, die wir in unseren Rollen verfolgen müssen, deckungsgleich sind.
Musiker wollen musizieren, Ärzte wollen heilen, Ordnungsliebende wollen Ordnung schaffen, Polizisten wollen dem Guten zum Sieg über das Schlechte verhelfen. Das sind die Träume, die uns motivieren, bestimmte Rollen zu erwerben, sie einzuüben und schließlich zu meistern.
Aber jeder, der diesen Prozess einmal oder sogar mehrmals durchlaufen oder durchschuftet hat, weiß, dass die Dinge so einfach nicht sind, und schon gar nicht dauerhaft. Manchmal verlangt unsere Rolle Handlungen von uns, die unseren persönlichen Bedürfnissen nicht nur nicht dienen, sondern vielleicht krass widersprechen.
Ich muss als Führungskraft Leute ‚freisetzen‘, mit denen ich es liebe zusammenzuarbeiten. Ich muss zu neunzig Prozent meiner Wochenarbeitszeit Dinge tun, die aber auch gar nichts mit den Gründen zu tun haben, aus denen ich meinen Job wirklich tue. Ich muss aus Loyalität mit meinen Hierarchen Zeugs glaubhaft verkünden und vertreten, das ich persönlich lächerlich und widerlich finde. Manchmal brennt uns unsere Rolle, so gerne wir sie eigentlich spielen, auf. Das nennt man dann technisch gesehen ‚Burnout‘ …
Manchmal fordert uns unsere Rolle auf eine fast brutale Weise, weil sie uns an die Grenzen dessen führt, was wir uns persönlich zugetraut oder zugemutet hätten. In der Rückschau erkennen wir dann, dass das einen persönlichen Wachstumsschritt auslöste, dem wir uns ungezwungen niemals gestellt hätten. Glück gehabt. Manchmal überfrachtet die Rolle, die wir uns in Übereinklang mit unseren persönlichen Neigungen und Talenten ausgesucht hatten, uns mit einer derartigen Unmenge von neigungsfernen Verwaltungstätigkeiten, dass wir zu zweifeln beginnen, ob es von Anfang an eine gute Idee war, überhaupt den eigenen Neigungen als Entscheidungskriterium bei der Rollenwahl zu folgen.
Manchmal zwingen uns unsere Rolle, deren Abhängigkeiten und unsere eigenen persönlichen Wertmaßstäbe in Loyalitätsverstrickungen – und zuweilen sogar Komplizenschaften – mit Leuten, die wir privat eigentlich lieber gar nicht kennen würden. Manchmal macht es unsere Rolle aus ‚politischen‘ Gründen schwer oder gar unmöglich, die Innovation in die Welt zu bringen, zu der wir uns im tiefsten Sinne aufgerufen fühlen. Manchmal korrumpieren unsere Rolle – und die Privilegien, mit denen sie ausgestattet ist – unser Urteilsvermögen, unsere Entscheidungen, unsere Weltsicht sogar, und erst wiederholte heftige Feedbacks aus der Außenwelt sorgen dafür, dass wir tief verstört aus unserer Verwöhntheits-Trance aufwachen.
Manchmal langweilen wir uns einfach, weil die Rolle, die wir jahrelang zur allseitigen Zufriedenheit ausgefüllt haben, keine Herausforderungen mehr bereithält, denen zu stellen wir persönlich es wert finden. Manchmal gibt es einfach kein Vorbild, kein Template, keine Rolle und keinen Club, der den Beitrag zur Welt, den wir fühlen, machen zu wollen, auch nur entfernt zur Verfügung stellt. Was tun?
In all diesen Fällen, und manchen anderen, geht es darum, über das Verhältnis zwischen Person und Rolle, zwischen Neigung und Verpflichtung, zwischen Bedürfnissen und Interessengeflechten wirklich gut und in Ruhe nachzudenken. In all diesen Fällen, und in manchen anderen, ist es gut, eine*n transformativen Coach zur Seite zu haben.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Buchreihe "Transformatives Coaching und Mentoring".
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