von Rainer Molzahn
Der erste Kontakt hat stattgefunden. Im Kennenlerngespräch konnte ich mir als Coach einen Eindruck von meinem potenziellen Coachee und seinem Anliegen verschaffen - und nun?
Nach dem Erstgespräch neige ich dazu, ein paar Tage Kontaktpause einzulegen, damit beide Seiten in Ruhe die Eindrücke aus dem Gespräch sacken und sich sortieren lassen können.
In dieser Pause stelle ich mir 5 Fragen, um für mich eine Entscheidung für eine potenzielle Zusammenarbeit treffen zu können.
Für den Coachee ...
... ist es einfacher, denn er oder sie ist zu nichts anderem aufgerufen als zu einer vorläufigen Antwort auf die Frage, ob man hinreichend Respekt und Vertrauen riskieren möchte, um sich dem Einfluss dieses Profis auszusetzen.
Aber genau dadurch wird es auch anspruchsvoller: Schließlich sucht man nicht aus Jux und Tollerei ein Coaching, sondern weil die Dinge nicht so bleiben können, wie sie sind, und weil man bei dem Versuch sie zu verändern gut Hilfe gebrauchen kann. Und man kann auch nicht 14 000 verschiedene Anbieter von Coachings testen, bevor man sich für einen entscheidet.
Man macht sich also in gewissem Maße abhängig, man öffnet sich für Einfluss, und man macht sich, indem man sich öffnet, auch verletzlich. Das ist alles nicht ohne. Gut also, die Entscheidung für einen Coach nicht einfach ganz spontan zu treffen, sondern sich dafür ein paar Tage Zeit zu nehmen. Und sich eventuell mit Vertrauten zu beraten.
Für uns als Coaches ...
... sieht es ein bisschen anders aus.
Einerseits sind wir im Allgemeinen nicht in gleichem Maße persönlich herausgefordert wie der Coachee, um dessen oder deren Veränderungsprozess es schließlich geht. Dazu kommt, dass wir verdienen und er oder sie zahlt. Die Schwelle dagegen, einem Coachee abzusagen, ist also hoch. Andererseits gehen auch wir mit der Entscheidung für einen Coachee Risiken ein: der Coaching-Markt ist ein begrenzter, und vor allem ein stiller. Obwohl es auch hier immer mehr Bewertungsportale im Internet gibt, kommen die meisten Kunden doch immer noch über persönliche Empfehlungen. Entweder von anderen Coachees, oder über Kontakte, die wir zu Personalverantwortlichen in Unternehmen haben, oder auch zunehmend über soziale Medien. Und Bewertungen in Portalen sind ja auch nichts anderes als persönliche Empfehlungen, allerdings von Leuten, die man meist nicht kennt.
Für alle Fälle gilt: Wir setzen mit jedem Coaching, das wir annehmen, unsere Reputation aufs Spiel. Es dauert zwar, bis die Feedbacks auf unsere Arbeit auf uns zurückwirken, aber sie tun es natürlich, und wahrscheinlich nach Misserfolgen schneller und nachhaltiger als nach Erfolgen.
Deswegen ist es auch für uns Coaches gut, uns ein paar Tage Zeit zu nehmen für unsere inneren Antworten auf die Informationen, die wir im Erstgespräch sammeln konnten, damit diese ihre Bedeutung entfalten können, bevor wir unsere Hand ausstrecken, um den Deal zu besiegeln:
5 Fragen für den Coach
- Habe ich verstanden, was den Coachee aktuell am brennendsten beschäftigt, was für sie oder ihn auf dem Spiel steht, und warum jetzt ein Coaching aufgesucht wird?
- Habe ich eine nachvollziehbare Geschichte darüber gehört, wie und wann das Thema zustande kam, und in groben Zügen die Entwicklung des Themas seither, einschließlich seiner
Benennungen?
- Sind in mir mehr als flüchtig Interesse, Empathie und Akzeptanz entstanden, und ein echter Wunsch zu helfen?
- Habe ich eine Vorstellung von der systemischen Landschaft bekommen, in der das alles stattfindet, und von den anderen Haupt-Akteuren in ihr?
- Habe ich begründete Hypothesen darüber bilden können, an welcher Grenze der Coachee bezüglich ihres oder seines Themas im Langzeitprozess steht, und wo also meine Arbeit konkret beginnen wird?
Zusätzlich bewege ich stets noch die Frage: Habe ich als Summe all dessen eine attraktive Idee von dem Unterschied, den ich in meiner Rolle und gemäß meinem persönlichen Erfahrungsschatz in diesem Prozess machen kann?
Die Arbeitsvereinbarung
Wenn wir diese Fragen mit ‚Ja‘ beantworten können, dann sind das gute Gründe dafür, dem Coachee einen ‚Deal‘, eine vorläufige Arbeitsvereinbarung anzubieten.
Diese Arbeitsvereinbarung muss in der Regel nicht viel anderes beinhalten als eine Einigung über das ‚Thema‘, dem man sich zunächst miteinander erforschend widmen möchte, und eine explizite Verabredung darüber, nach welcher Anzahl von Kontakten man sich wieder zusammensetzt, um darüber zu sprechen, ob und mit welchem Fokus man die Zusammenarbeit fortsetzt, bis man sich wieder zusammensetzt.
Prinzipien
Unsere Zeit ist kostbar. Und wenn sie dem Coachee nicht kostbar ist, ist sie nicht viel wert. Das heißt nicht unbedingt, dass sie zwanghaft teuer sein muss. Aber begrenzt. Die Coaching-Beziehung ist eine, wenn man so will, vorübergehende – weil sie beim Vorübergehen helfen soll. Deswegen neigen wir dazu, die Gesamtzahl der Arbeitskontakte auf in der Regel nicht mehr als ein Dutzend auszulegen. Oft in erst einmal 6, und dann evtl. noch einmal dieselbe Anzahl, wenn es erforderlich und vielversprechend erscheint. Wie eingangs schon ausgeführt: Coaching ist keine Therapie, Coaching ist keine Pflege – bei allem Respekt für diese helfenden Rollen und die Menschen, die sie ausfüllen. Daher: so intensiv wie nötig, so kurz wie möglich.
Die Verantwortung für die Entscheidungen und Handlungen des Coachees bleibt jederzeit beim Coachee. Wir sind als Coaches natürlich in unserer Rolle und als Person präsent, wir sind in unserer Arbeit handwerklich präzise und persönlich mitfühlend – aber wir sind sehr zurückhaltend mit Interventionen wie „tun Sie dies“ und „Lassen Sie jenes“. Wir inspirieren, wir konfrontieren, wir reflektieren und wir unterstützen – und vor allem anderen verbeugen wir uns vor der Freiheit, die der Coachee in seinen oder ihren Entscheidungen hat, und der Verantwortung, die aus dieser Freiheit erwächst. Wir begleiten einen transformativen Veränderungsprozess von der Erfahrung des Ausgesetztseins bis zum schöpferischen Handeln, aber wir sind in diesem Prozess der Katalysator, nicht das Agens. Das ist der Coachee. Deswegen sind die Ergebnisse unserer Arbeit immer Optionen, nie Rezepturen.
Unser Beziehungsangebot
Wir sind uns jederzeit (zumindest im Groben) des gemeinsamen systemischen Spielfeldes bewusst, auf dem unsere Zusammenarbeit mit dem Coachee stattfindet, und der Interessen und Bedürfnisse, der Rangkonstellationen und Loyalitäten, die hier aufeinandertreffen – und von denen auch ich als Coach ein Teil bin. Wir sind uns auch und gerade dann darüber bewusst, wenn der Coachee das nicht ist, weil seine oder ihre Aufmerksamkeit gerade von etwas anderem gefesselt ist. Auf der dünnen Eisfläche dieser Bewusstheit vollführen wir den schon beschriebenen Balanceakt von Coach-Rolle und Person in unserer prospektiven Arbeit mit dem Coachee, und auch diese Gymnastik schlägt sich in dem Vorschlag zur Arbeitsvereinbarung nieder, den wir als Ergebnis des Erstgespräches unterbreiten: unser Beziehungsangebot.
Auf der Basis der Informationen, die wir in der ersten Kontaktaufnahme und im explorativen Erstgespräch sammeln konnten sowie der daraus entstandenen Hypothesen hinsichtlich des Langzeit-Prozesses, und auf der Grundlage der eben dargelegten Prinzipien unseres Beziehungsangebotes, unterbreiten wir dann unserem Coachee-in-spe unseren Vorschlag zur Arbeitsvereinbarung. Ich habe buchstäblich noch nie erlebt, dass er abgelehnt wurde.
Dieser Text ist ein Auszug aus der Buchreihe "Transformatives Coaching und Mentoring".
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